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Brammentransporter der Superlative: Heißes Eisen auf Reisen

  • Kamag entwickelt Brammentransporter mit außerordentlich hoher Nutzlast und Hubkraft

  • Transporttechnologie aus Ulm widersteht extremen Einsatzbedingungen in der Stahlindustrie

Am Pfingstmontag schickte Kamag Transporttechnik, ein Unternehmen der TII Group, einen ganz besonderen Brammentransporter auf die Reise zum Kunden. Nicht nur der Schwertransport an sich mit 71 Meter Länge und einem Gesamtgewicht von rund 360 Tonnen ist außerordentlich. Mit 150 Tonnen Zuladung zählt das Industriefahrzeug zu den Nutzlast-stärksten in diesem Segment. Auch darüber hinaus steht das Fahrzeug für großartige Ingenieursleistung.

Kurzfassung:

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Im Auftrag des Stahlgiganten ArcelorMittal hat Kamag Transporttechnik einen Brammentransporter mit einer am Markt außerordentlichen Nutzlast entwickelt. Die Ausschreibung des Stahlproduzenten gab eine Zuladung von 150 Tonnen vor. Außerdem erwartete der Kunde eine sehr hohe Hubleistung der Greifzangen, mit deren Hilfe die Brammen angehoben werden, von 2,5 Meter in 25 Sekunden. Brammen, Halbzeuge der Stahlindustrie, sind große Stahlblöcke, die je nach Ausführung Stückgewichte um die 30 Tonnen aufweisen können und innerbetrieblich in Stapeln transportiert werden. Wenn sie aus der Strangpressanlage kommen, sind sie noch bis zu 900 Grad Celcius heiß. Der dadurch bedingte extrem hohe Temperatureintrag ins Fahrzeug erfordert zahlreiche technische Schutzmaßnahmen.

Um die geforderte Nutzlast zu ermöglichen, mussten die Ingenieure von Kamag den Nachläufer des Fahrzeugs, auf den beim Brammentransport die größten Belastungen einwirken, völlig neu entwickeln. Beim Vorderwagen konnten die Ulmer Spezialisten für Industriefahrzeuge auf eine bestehende Konstruktion und bewährte Antriebskomponenten zurückgreifen. Neuland betraten sie mit der sogenannten Fatigue-Berechnung. Mit deren Hilfe ist es beispielsweise möglich, Aussagen über die Haltbarkeit des Fahrzeugkonstruktion zu treffen. Der Kunde gab vor, dass der Rahmen auch unter den extremen Arbeitsbedingungen in einem Stahlwerk sowie einem Betrieb des Transporters von nahezu rund um die Uhr mindestens zehn Jahre keinen Riss aufweisen darf.

Als ebenso anspruchsvoll wie die Konstruktion des neuen Brammentransporters erwies sich der Transport des leer 132 Tonnen schweren Brammentransporters zum Kunden. Dabei unterstützten die Transportexperten der Spedition Kübler den Fahrzeughersteller. Kübler setzte für den Transport des Kolosses zwei Intercombi-Transportplattformen mit zwölf und zehn Achslinien sowie eine Hubhebelbrücke ein. Beide Produkte stammen von der Scheuerle Fahrzeugfabrik. Kamag Transporttechnik und Scheuerle sind beide Teil der TII Group des Heilbronner Multiunternehmens Otto Rettenmaier und belegen mit diesem Transport eindrucksvoll die Synergien zwischen den TII Unternehmen.

Insgesamt maß der Schwertransport eine Länge von 71, eine Breite von 6,6 und eine Höhe von 5,4 Meter. Bei der aufwendigen Verladung auf die Schwerlastkombination kamen zwei Autokräne des Ulmer Unternehmens Rieger und Moser zum Einsatz. Der Weg führte den Schub- und Zugverband vom Kamag-Werk im Industriegebiet Ulm-Donautal über 260 Kilometer öffentliche Straßen bis zum Heilbronner Hafen. Dort wurde der Brammentransporter für die letzte Etappe bis zum Dock des Stahlproduzenten auf ein Binnenschiff umgeschlagen.

Brammentransporter sind nur eine der Transportlösungen, die Kamag Transporttechnik der Stahlindustrie anbietet. Der Ulmer Hersteller von Sonderfahrzeugen fertigt außerdem Schlacke-, Gießpfannen-, U-Rahmen- sowie Schrottkorbtransporter, Industriehub- und Coil-Fahrzeuge. Alle dieser Transportmittel sind für die extremen Bedingungen der Stahlproduktion wie große Hitze, hohe Tonnagen, Schmutzeintrag und staubiges Schüttgut ausgelegt.

Langfassung:

Vorsichtig tastet sich Frieder Saam in die Straße vor dem Werk der Kamag Transporttechnik. Gefühlvoll dirigiert er den vierachsigen MAN TGX 41.680 der Kübler Spedition aus der Hofausfahrt. Langsam, aber stetig schiebt sich der 71 Meter lange. 6,6 Meter breite und 5,4 Meter hohe Schub- und Zugverbund durch das Industriegebiet Ulm-Donautal, Sitz des Spezialisten für Schwertransporttechnik und Industriefahrzeuge, in Richtung der Bundesstraße B 311. Vorausfahrzeug und Nachhut eingerechnet wächst der Verband sogar auf mehr als 100 Meter an. Trotz der Abfahrt in den frühen Morgenstunden des Feiertags haben sich zahlreiche Schaulustige eingefunden. Kein Wunder: Der Schwertransport ist nicht nur wegen seiner außerordentlichen Dimensionen etwas ganz Besonderes. Auch das Transportgut, ein Brammentransporter mit 132 Tonnen Leergewicht, ist ein ganz spezieller Vertreter seiner Spezies. Aktuell gibt es nur ganz wenige Fahrzeuge am Markt, die eine vergleichbare Nutzlast aufweisen. Damit ist dieses Einzelstück ein weiterer Beleg für die herausragende Leistungsfähigkeit des Ulmer Traditionsunternehmens.

Stückgewichte von 22 Tonnen, siebenfach gestapelt

Der Kunde, ein Stahlwerk des weltweit operierenden Stahlkonzerns ArcelorMittal, hatte eine Transportlösung für Brammen mit einer Nutzlast von 150 Tonnen ausgeschrieben. Brammen sind gewalzte Eisenblöcke, die in dieser Form zwischengelagert werden. Im Stahlwerk des Kunden entstehen sie mit einer Länge von bis zu 11,6 Meter, 2,5 Meter Breite und 22 Zentimeter Höhe. Dabei erreichen sie Stückgewichte von rund 22 Tonnen. Mit der geforderten Nutzlast verlangte der Auftraggeber ein deutliches Plus an Zuladung im Vergleich zu seinen bisherigen Brammentransportern und auch mehr als es die bisher von Kamag angebotenen Transportlösungen leisten.

Komplette Neukonstruktion des Nachläufers nötig

"Um die Nutzlast von 150 Tonnen umzusetzen, mussten wir den Nachläufer völlig neu konstruieren", erklärt Projektmanager Berthold Schmidberger. Schon die Hinterachse mit der gigantischen Bereifung der Größe 40.00-57, die in etwa zweifache Mannshöhe misst, leistet Herausragendes und bietet eine Tragkraft von 221 Tonnen. Am Nachläufer befinden sich außerdem die beiden gewaltigen Greifzangen, mit deren Hilfe sich bis zu sieben Brammen übereinander gestapelt anheben lassen. Auch sie leisten Außerordentliches und können die volle Nutzlast in 25 Sekunden um 2,5 Meter anheben. Auch das war eine Forderung des Auftraggebers, die den wirtschaftlichen Betrieb des Fahrzeugs sicherstellt. "Das sind wirklich extreme Performance-Zeiten", berichtet der Kamag-Ingenieur. Herzstück hierfür ist eine überaus leistungsfähige Hydrauklik.

Vielfach bewährte Antriebskomponenten

Beim Triebkopf konnten die Kamag-Ingenieure auf eine bereits vorhandene Konstruktion und vielfach bewährte Komponenten zurückgreifen. Etwa auf einen Reihensechszylinder mit 15,2 Liter Hubraum nach der Abgasnorm Tier IV final mit 403 kW Leistung und einem maximalen Drehmoment von 2.472 Newtonmeter. Ein gleichermaßen bewährtes Lastschaltgetriebe gibt die Kraft an die Vorderachse des Brammentransporters weiter.

Erstmals Fatigue-Berechnungen angewendet

Die Fahrzeugentwickler betraten bei der Konstruktion des Giganten vielfach Neuland. "Erstmals mussten wir für einen Kunden eine Fatigue-Berechnung durchführen", erklärt Schmidberger die ganz speziellen Herausforderungen des Auftrags. Mit einer solchen Berechnung lässt sich die Materialermüdung bei einer bestimmten Belastung und über einen bestimmten Zeitraum hinweg ermitteln. Kamag musste dem anspruchsvollen Kunden zusichern, dass der Rahmen des Fahrzeugs auch bei höchsten Belastungen mindestens zehn Jahre nicht bricht. Eine besondere Ingenieursleistung, denn der Stahlwerkbetreiber kalkuliert mit 5.500 Betriebsstunden pro Jahr, was einem Betrieb beinahe rund um die Uhr entspricht.

Automatisierter Betrieb ist vorgerüstet

Abgesehen von Mechanik und Hydraulik ermöglicht auch die fortschrittliche Elektronik dem Transporter ganz besondere Funktionalitäten. Er lässt sich nämlich nicht nur von der Kabine aus oder von außerhalb per Fernbedienung steuern, sondern auch aus der Ferne von einem Leitstand. Darüber hinaus hat Kamag bereits eine Sensorik vorgerüstet, die sämtliche Fahr- und Arbeitszustände des Transporters erkennt. In Zukunft kann das Fahrzeug damit seine Aufgaben auch hoch automatisiert ausführen. Dazu müssen aber noch weitere Sensoren zur Umgebungserkennung entwickelt werden.

Starker Schutz vor Überhitzung des Fahrzeugs

Die Vorrüstung der hochmodernen Technologie für das automatisierte Fahren ergibt Sinn. Schließlich sind gerade in Stahlwerken die Arbeitsbedingungen für Mensch und Material extrem herausfordernd. Wenn die Brammen aus der Pressanlage herauslaufen, sind sie rund 900 Grad heiß. Dieser außerordentlichen Hitze möchte man Mitarbeiter so wenig wie möglich aussetzen. Auch für noch so widerstandsfähiges Material ist diese Hitze eine Belastung. Daher ist der Brammentransorter von Kamag mit zahlreichen Hitzeschutzschildern versehen. Zudem werden die Reifen an der Hinterachse, die den glühenden Brammen beim Transport besonders nahe kommen, jeweils mit zehn Tonnen Wasser befüllt. Die Füllung trägt dazu bei, die in die Kunststoffbereifung eingetragene Hitze abzuleiten.

Viele Monate Zeitbedarf für die Streckenplanung

Auf die Konstruktion und Abstimmungen mit dem Kunden folgten ausgiebige Tests der Technik. Ein gutes halbes Jahr dauerte es von der Entwicklung an, bis endlich der fertige Brammentransporte die Hallen von Kamag verlassen konnte und sich auf den Weg nach Heilbronn machte. "Vier Monate haben wir gemeinsam mit der Spedition Kübler die Strecke geplant, geprüft und uns um Genehmigungen bemüht sowie Auflagen umgesetzt", sagt Michael Schanz vom Vertriebsinnendienst der Kamag Transporttechnik, der für den Versand des Brammentransporters verantwortlich ist. Neben dem MAN TGX an der Zugspitze kommt auch noch ein Schubfahrzeug hinter dem Transportgut zum Einsatz: ein Mercedes Actros 4160, ebenfalls mit vier Achsen und ebenfalls mit einem dicken V8 unter der Kabine. Dazwischen stützt sich eine Hubhebelbrücke auf zwei Intercombi-Plattformwagen mit zwölf beziehungsweise zehn Achslinien ab.

Transport-Know-how aus einer Hand

Die Transportkombination steht für das geballte Konzern-Know-how der TII Group, die Unternehmensgruppe des Heilbronner Multiunternehmers Otto Rettenmaier. Denn Brücke und die beiden Transportplattformen stammen von der Scheuerle Fahrzeugfabrik. Das Pfedelbacher Unternehmen ist ebenfalls Teil der TII Group. Doch ganz ohne fremdes Know-how lässt sich so ein Schwertransport dann doch nicht bewerkstelligen. Am Freitag vor Pfingsten rückten zwei Mobilkräne an, um den Brammentransporter in die Hubhebelbrücke zu hieven. Die Teams von Kamag, Kübler und dem Ulmer Autokranunternehmen Rieger und Moser arbeiteten einen ganzen Arbeitstag daran, das Fahrzeug zu verladen und aufwendig für den Transport zu sichern.

260 Kilometer in einem Tag und vier Nächten

Einen Tag und vier Nächte benötigte der Schwertransport für die rund 260 Kilometer lange Reise bis zum ersten Etappenziel, der Hafen von Heilbronn. Dort schlugen die Schwerlastspezialisten von Kübler den Brammentransporter aufs Binnenschiff um. Mit dessen Hilfe legte das Fahrzeug innerhalb von weiteren fünf Tagen das letzte Wegstück bis zum Dock des Stahlwerks zurück. Dort wird er fortan glühend heiße Brammen auf eine außerordentlich wirtschaftliche Weise befördern - dank der herausragenden Leistung der Ingenieure der Kamag Transporttechnik.

 

Quelle: TII Group