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Hubertus Paetow: „Branche muss eigene Vision für ökologischen Ausgleich liefern“

DLG-Wintertagung 2020 in Münster – fachgerechtes Handeln der Politik gefordert – „neue nachhaltige Landwirtschaft“ als Projekt angehen – Rede in der Mitgliederversammlung

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„In den letzten Wochen und Monaten hat es eine ‚Agrarwende‘ gegeben“, sagte DLG-Präsident Hubertus Paetow zur Eröffnung der DLG-Wintertagung 2020 in Münster. „Nicht in der grundlegenden Ausrichtung der Politik oder der Produktion, wie es manche fordern. Wohl aber in der öffentlichen Auseinandersetzung über die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland: Die Landwirte haben entdeckt, dass sie mit gemeinsamen Aktionen, mit Mut und Engagement sehr wohl in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden können.“ Vor der Mitgliederversammlung der DLG führte Paetow weiter aus, dass die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit nun laut und deutlich genug sei, dass die Politik reagieren müsse. Auch in der Gesellschaft reife die Erkenntnis, dass es den Bauern eben nicht nur um die Besitzstandswahrung geht, sondern dass hier eine ganze Branche sich ungerecht und willkürlich behandelt fühlt.

Die Reaktion auf die „Bauernmilliarde“ zeige auch, dass es nicht nur ums Geld gehe. Man wolle sich nicht „kaufen“ oder mit Subventionen ruhigstellen lassen. Für eine Zukunft der Betriebe sei ein konsistentes, zielführendes Fachrecht viel wichtiger als kurzfristige Zuschüsse.

Auf der anderen Seite gebe es in der Gesellschaft nach wie vor eindeutige Forderungen an die Veränderung des Ernährungssystems, nicht nur in der Nachhaltigkeit der Produktion, sondern auch in der gesamten Wertschöpfungskette, bis hin zu fairen Preisen im Handel. Dass diese aber nicht staatlich diktiert werden könnten, verstehe sich von selbst, sagte der DLG-Präsident. Allgemeiner Konsens sei inzwischen auch, dass es höhere Produktionsstandards nicht zum Nulltarif geben kann.

Eine staatlich organisierte Subvention dieser höheren Standards, wie jetzt beim Tierwohl vorgeschlagen, könne nur eine Lösung für den Übergang sein. Sie werde aber erforderlich, weil wir unsere Märkte nicht abschotten könnten gegen Produkte, die unseren Anforderungen an die Nachhaltigkeit der Produktion nicht genügen. Dies gelte für argentinisches Rindfleisch genauso wie für kastrierte Ferkel aus Dänemark.

„Agrarwende heißt also nicht, nur die Bauern ändern Ihre Produktion, hin zu ökologischem Landbau, zu regionaler Produktion ohne Exporte, hin zu schönen Bildern, die den diffusen Wünschen der Gesellschaft entsprechen,“ betonte der DLG-Präsident, „Agrarwende heißt, wir stellen unser gesamtes System von Produktion, aber auch Handel und Konsum auf den Prüfstand.“

Heute hätten wir in der Gesellschaft einen breiten Konsens darüber, dass die konkurrierenden Ziele von maximaler Produktivität und sozialem Ausgleich sich in einer zufriedenstellenden Balance befinden. Nachhaltige Entwicklung bestehe aber nicht nur aus Ökonomie und sozialem Ausgleich – den Zielen, mit denen sich Bismarck, die frühe SPD und Ludwig Erhard beschäftigt haben. Auch die ökologischen Aspekte seien heute unverzichtbarer Bestandteil der Balance. Denn die Menschen hätten heute einen so großen Einfluss auf unsere Umwelt, dass auch diese Auswirkungen in unsere Entscheidungen zur weiteren Entwicklung, und damit auch in die ökonomischen Steuerungssysteme einbezogen werden müssten.

Nach dem sozialen Ausgleich im vergangenem Jahrhundert stehe heute nunmehr die Frage nach dem ökologischen Ausgleich in unserem Wirtschaftssystem an.

„Und damit sind wir bei unserer heutigen Herausforderung. Wir sehen deutlich die Anzeichen dafür, dass es einer grundlegenden gesamtgesellschaftlichen Weiterentwicklung bedarf“, so Paetow. „Wir sehen die Defizite im Umgang mit unseren Ressourcen, sei es in der Biodiversität, bei Wasser und Boden, beim Klimaschutz und beim Tierwohl. Wir sehen Protestbewegungen, die lautstark Veränderung einfordern, bis hin zum Systembruch. Gerade so wie Mitte des vorletzten Jahrhunderts stehen wir vor der großen Aufgabe, unser System sinnvoll zu ergänzen und neu auszubalancieren.“

Dies treffe im Übrigen nicht nur für unsere Branche, die Ernährungswirtschaft zu. Das gelte, vor dem Hintergrund des Klimawandels, auch für die gesamte Energiewirtschaft bis hin zum Verkehr. Überall dort bräuchten wir neue Systeme, die die Akteure dazu bringen, zukünftige Auswirkungen Ihres Tuns in ihre heutigen Entscheidungen mit einzubeziehen.

Die Landwirtschaft benötige ein System, das die Zielkonflikte der nachhaltigen Entwicklung ausgleicht, ohne auf die erprobten Regelkreise einer Marktwirtschaft zu verzichten. Eine ‚ökologisch-soziale Marktwirtschaft‘ könne dieses erweitere System sein. Eine konkrete Vision darüber fehle jedoch der Landwirtschaft in der aktuellen Diskussion über ihre Zukunft.

Landwirtschaft sei ein unendlich komplexes System mit vielen Wechselwirkungen, so Paetow weiter. Es sei nicht so einfach, allein mit einer Verordnung ein ökologisches Ziel zu erreichen. Die wirklichen Ziele auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung müssten identifiziert, und das Erreichen dieser Ziele in unser Wirtschaftssystem eingebettet werden.

DLG-Präsident Paetow forderte, dass die Nachhaltigkeit in der Nahrungsmittelerzeugung marktfähig gemacht werden müsse. Wo aber die Zahlungsbereitschaft nicht ausreiche, müsse – zumindest befristet – der Staat regelnd eingreifen, zum Beispiel, wie in den Sozialversicherungssystemen oder auch so, wie jetzt der Vorschlag zur Tierwohlabgabe im Raum stehe.

Diesen Umbau unseres marktwirtschaftlichen Systems könne nur die Gesellschaft als Ganzes und damit die Politik bewerkstelligen. „Aber wir als Branche müssen die Vision dazu liefern, wie ein ökologischer Ausgleich heute aussehen soll und zu bemessen ist“, appellierte Paetow vor den DLG-Mitgliedern. „Für mich wäre es ein Teil der Vision einer zukünftigen Landwirtschaft, dass wir unseren ökologischen Fußabdruck genau beziffern können, ob nun mit dem DLG-Nachhaltigkeitsstandard oder einem anderen. Denn dann können wir das schon Erreichte belegen, gezielt an Verbesserungen arbeiten, die Erfolge kommunizieren und als Mehrwert an unsere Produkte binden.“

Damit könnte die Landwirtschaft aus eigener Initiative die Voraussetzung dafür schaffen, dass die Weiterentwicklung der Branche mit marktwirtschaftlichen Instrumenten gesteuert werden kann, und nicht nur mit dem Ordnungsrecht eingeschränkt wird. DLG-Präsident Paetow lud schließlich alle Teilnehmer der Mitgliederversammlung ein, am Projekt “Neue nachhaltige Landwirtschaft” mitzuarbeiten und den neuen digitalen Nachhaltigkeitsstandard auszuprobieren.

Quelle: DLG e.V.