1. November 2019, 09:00
Herausforderungen für die Zukunft
Prof. Dr. habil. Matthias Schick, Strickhof, Bereichsleitung Tierhaltung & Milchwirtschaft, Lindau (Schweiz) und Ferdinand Mersch, Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen
Die Digitalisierung hält mehr und mehr Einzug in alle Bereiche der Landwirtschaft. Damit sollen Arbeitsproduktivität und Effizienz verbessert, die Arbeitsbelastung reduziert sowie die Wirtschaftlichkeit gesteigert werden.
Zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, zur Optimierung von ganzen Produktionssystemen und zur Qualitätssteigerung stehen in der Landwirtschaft vermehrt sensorgesteuerte, automatisierte Verfahren zur Verfügung. Neben Entscheidungsgrundlagen für den Einsatz von Mensch und Maschine bieten die sogenannten „Smart Farming“-Systeme Potenzial für eine effiziente, emissionsmindernde und ressourcenschonende Landwirtschaft. Der Landwirt als Unternehmer findet dabei mittlerweile digitale Unterstützung von der Datenerfassung über die Informationsanalyse bis hin zur Entscheidungsfindung und Ausführung.
Die Trends zum Einsatz von digitalen Systemen und IT sind in der Landwirtschaft sowie in den vor- und nachgelagerten Bereichen weiterhin deutlich erkennbar. Zur Agritechnica 2019 werden mehr als 70 neue und weiterentwickelte Verfahren und Systeme in den Bereichen „Digitale Systeme und IT“ ausgestellt und angeboten.
Als Beispiele für zukunftsweisende Innovationen sind exaktere Ertragsmesssysteme für den Ackerbau und erstmals auch satellitengestützt für das Grünland zu sehen. Damit können sowohl die Düngungszustände als auch die zu erwartenden Erträge immer präziser vorhergesagt und als Entscheidungsgrundlage für die gesamte Wertschöpfungskette herangezogen werden.
Weitere interessante Neu- und Weiterentwicklungen sind im Bereich FMIS (Farm Management Informationssystem) anzutreffen. Über neu gestaltete Datenplattformen können Sensoren und Informationen herstellerübergreifend miteinander verknüpft und Handlungsanweisungen sowie Dokumentationen damit automatisiert erstellt werden.
Ebenfalls interessante Weiterentwicklungen sind von smarten, nicht invasiven Bodensensoren über automatisierte Wetterstationen mit multisensorischem Ansatz und Pflanzenschutzempfehlungen bis hin zur Fernerkennung über Satellitensysteme zu sehen.
Die Spanne der Neuheiten zur Fahrerentlastung beginnt bei der Nutzung von holografischen Elementen in der Fahrerkabine sowie erweiterten Realitäten (Augmented Reality) und geht bis hin zu frei konfigurierbaren Multiterminalsystemen. Überladeautomatiken mit künstlicher Intelligenz sowie radargestützten Personenwarnsystemen im Umfeld landwirtschaftlicher Maschinen dienen ebenfalls der Fahrerentlastung und sollen die Unfallhäufigkeit vermindern.
Jede Form von technischem Fortschritt ist immer auch mit Kostenfolgen verbunden. Gegenüber konventioneller Verfahrenstechnik ist bei digitalen und automatisierten Systemen mit Mehrkosten von 15 bis 40 Prozent zu rechnen. Durch weitere Extras lässt sich das sogar auf über 100 Prozent steigern. Damit sich die Investitionen langfristig rechnen, müssen also entweder die Leistungen gesteigert und/oder der Arbeitszeitbedarf je produzierte Einheit – bei gleichbleibender Qualität – gesenkt werden. Ansonsten entwickelt sich die Digitalisierung als teures Hobby!
Generell sinkt durch den Einsatz der Automatisierung der Zeitbedarf für die produktionsbezogenen Tätigkeiten um bis zu 30 Prozent. Die Einsparungen an Betriebsmitteln liegen ebenfalls im deutlich messbaren Bereich. Gleichzeitig sinkt auch die physische Belastung. Es müssen weniger körperlich belastende und monotone Tätigkeiten erledigt werden. Allerdings steigt im Gegenzug die psychische Belastung und auch der Zeitbedarf für die Betriebsführung nimmt zu. Es sind mehr Kontrollarbeiten zu erledigen. Die Digitalisierung ist dementsprechend nicht als pauschaler Lösungsweg aus der Arbeitsfalle anzusehen, in der viele Betriebe stecken.
Weitere große Herausforderungen sind die Vernetzung der einzelnen Systeme auf dem Feld sowie die Einbindung in betriebliche und unternehmensrelevante Entscheidungsprozesse. Viele unterschiedliche Sensoren und ganze Robotersysteme von verschiedenen Herstellern sind (noch) nicht vollständig miteinander kompatibel.
Werden die produktionsbezogenen Maßnahmen in Acker- und Futterbau, die Arbeitswirtschaft und die Buchhaltung mit in die Betrachtungen einbezogen, kann von einem Farm Management Informationssystem (FMIS) zur Unterstützung bei der Betriebsführung und Unternehmensentwicklung gesprochen werden. Mit den bereits erwähnten vorgestellten Datenplattformen zeichnen sich mögliche praxistaugliche Entwicklungen ab. Die Fragen der einfachen Handhabung, des Mehrwerts, der Datenhoheit und der Datensicherheit sind aber noch nicht vollumfänglich geklärt.
Automatisierung und Digitalisierung halten zunehmend Einzug in sämtliche landwirtschaftlichen Produktionsabläufe. Vor einer Investition in neue Techniken sollte sich jeder Landwirt Gedanken machen, wie Digitalisierung, Elektronik und verbesserte Betriebsführungssysteme ihn in seiner täglichen Arbeit unterstützen, seine Arbeitsproduktivität steigern, seine Arbeitsbelastung reduzieren und seine Wertschöpfung verbessern. Können diese Fragestellungen zufriedenstellend beantwortet werden, dann kann der anhaltende Trend hin zur Digitalisierung als positiv angesehen werden.
Quelle: DLG e.V.