13. Januar 2014, 00:00
Jährlich rund 50 000 Besucher dokumentieren nicht nur das Interesse am traditionellen Bierbrauen in Warstein, sondern erfordern auch eine umfangreiche Organisation. Bei einem Betriebsgelände von rund 478 000 m2 – dies entspricht 66 (!) Fußballfeldern – sind zudem weite Wegstrecken auf dem rund 5 km langen Besucherparcours zu absolvieren. Daher setzt die Traditionsbrauerei schon seit den 1970er Jahren Besucherbahnen ein, nunmehr in dritter Generation und mit modernster Technik. So kann der 28,65 m lange, gleislose Zug mit drei Waggons und Allradantrieb auch bei ungünstigen Witterungsverhältnissen bis zu 108 Personen komfortabel befördern – und das besonders umweltfreundlich; denn der moderne Antrieb ist mit Katalysator und Abgasnachbehandlung ausgerüstet.
Chassisumbau Zugfahrzeug: angepasste Atego-Basis
Die technische Basis für die Besucherbahn der Warsteiner „Waldparkbrauerei“ haben die Spezialisten der Paul Nutzfahrzeuge GmbH geliefert. Der Bereich Special Trucks & Chassis des Passauer Unternehmens zählt in der Sparte Sonderfahrzeugbau zu den Marktführern. Als Fahrgestell für das Zugfahrzeug kam der Atego 922 AF von Mercedes-Benz in Frage, der sich wegen seiner geringen Breite und Aufbaufreundlichkeit für Sonderlösungen aller Art empfiehlt. Dem entspricht auch der 160 kW starke Vierzylindermotor OM 924 LA, der durch seine kompakten Maße einen ebenen Boden im Fahrgastraum ermöglicht. Neben dem Fahrersitz befindet sich der Motortunnel, der mit einer Wartungsklappe für den Motor versehen ist. Kombiniert mit dem Allison-Getriebeautomaten 2500 treibt ein kräftiger und zugleich harmonisch arbeitender Antriebsstrang die Besucherbahn an.
Die nötige Traktion gewährleistet die Allradfunktion des Zugfahrzeugs; immerhin müssen bei voll besetzter Bahn bis zu 28 Tonnen auch bei Schnee und Regen sanft und sicher bewegt werden – und das nicht nur in der Ebene: Steigungen bis zehn Prozent sind bei der 1,5-stündigen Besichtigungstour inklusive, schließlich wird die Topografie des Geländes durch die Lage im nördlichen Sauerland bestimmt. Eine Luftfederung an der Hinterachse rundet den Fahrkomfort ab und schont gleichzeitig den Aufbau bei der Überwindung unterschiedlich beschaffener Wegstrecken. Darüber hinaus haben die Paul-Techniker die Geschwindigkeit auf 30 km/h begrenzt, um ein Aufschaukeln durch die drei Anhänger auszuschließen.
Kurvenfreudig und agil
„Zugmaschine und Waggons wurden eigens nach unseren Vorgaben gebaut und sind echte Unikate“, erzählt Reinhard Finger, Leiter der betriebseigenen Kfz-Werkstatt der Warsteiner Brauerei. Hervorzuheben ist neben dem ausgewogenen Antrieb die Kurvenfreudigkeit des gesamten Zugs; denn auf dem Weg durch das Betriebsgelände müssen viele enge Rampen, Türen und Tore passiert werden. Achsen, Radstand und Räder des Zugfahrzeugs sind auf einen Wendekreis von nur 15 m ausgerichtet, während die doppelt gelenkten Anhänger exakt in der Spur bleiben. Wenn es allerdings in das eigentliche Sudhaus geht, wird es wahrlich eng: Diese Passage ist länger als die gesamte Besucherbahn, und zwischen Karosserie und Wand bleibt bei 2310 mm Fahrzeugbreite höchstens noch eine Handbreit Platz. Sogar die Außenspiegel müssen dort eingeklappt werden, was jedoch ohne Aufwand elektrisch geschieht. Denn bereits bei der Konstruktion der Bahn war auch diese Hürde berücksichtigt worden, und die Besucher haben stets großen Spaß, wenn sie die Durchfahrt mit Spannung verfolgen.
Ein Jahr im Einsatz: Lob für Funktion, Komfort und Wartungsarmut
„Sehr zufrieden mit den Eigenschaften der Besucherbahn sind auch unsere beiden Fahrer – die übrigens entsprechend ausgebildet worden sind und einen Busführerschein besitzen“, so Reinhard Finger. Zudem überzeugt das elektronische Bremssystem mit ABS, ASR und Rückrollsperre im täglichen Einsatz. Positive Erfahrungen hat auch die Werkstatt gemacht: Die Funktion des Zugfahrzeugs ist zuverlässig, mit überschaubarem Wartungsaufwand.
Viel Lob gibt es auch seitens der Besucher, da eine komfortable Beförderung bei der Konstruktion besondere Beachtung fand. So hat Paul Nutzfahrzeuge die Fahrerkabine wegen des Aufbaus gekappt und den Atego-Rahmen bis zum Podest nahezu auf das Niveau der Anhänger abgesenkt. Dadurch ergibt sich auch hier eine passagierfreundliche Bodenhöhe. Für den Einstiegsbereich zwischen den Achsen des Zugfahrzeugs mussten Freiräume geschaffen werden, weshalb Paul die Tanks für Diesel und AdBlue ebenso wie die Batterien unter Beachtung der Achslasten neu platziert hat. Nur zwei Stufen führen in den „Gästebereich“ der Besucherbahn, wobei der Antritt praktisch entfällt – denn in Verbindung mit den erhöhten Haltepunkten ist der Ein- und Ausstieg auch für ältere Personen bequem zu bewältigen.
Sicherheit für Rollstuhlfahrer
Für Besucher, die in ihrer Mobilität eingeschränkt oder mit Kinderwagen unterwegs sind, erleichtert eine Rampe den Zugang in die angehängten Waggons. Zudem können Sitze entfernt und stattdessen Rollstühle platziert werden, die sich über ein Fixiersystem schnell und einfach sichern lassen. Die für jeden Fahrgastraum individuell regelbare Heizungs- und Klimaanlage arbeitet besonders energieeffizient mittels Wärmepumpe. Das mehrsprachige Multimediasystem, Flachbildschirme sowie der hydraulisch und somit unabhängig von der Motordrehzahl arbeitende, 15 kW starke Generator zur Versorgung der Nebenverbraucher sind weitere Highlights der Warsteiner-Besucherbahn. Für den Aufbau sowie die Anhänger zeichnet das Unternehmen Borco-Höhns verantwortlich, mit dem die Paul Nutzfahrzeuge GmbH bereits mehrfach in bewährter Kooperation vergleichbare Projekte umgesetzt hat.
Warsteiner-Design: Gold auf GFK
Bei aller Technik zählt auch das Design: Durch ihre goldfarbig-schwarze Lackierung stellt die schicke GFK-Karosserie auch optisch die Verbindung zum Markenauftritt der Warsteiner Brauerei her.
Datenübersicht: Warsteiner Besucherbahn
Fahrzeugbasis: Mercedes-Benz Atego 922 AF mit Allradantrieb
Radstand 3260 mm, Wendekreis 15 m, Turbodieselmotor Mercedes-
Benz OM 924 LA (Hubraum 4,8 l, Leistung 160 kW/218 PS, Euro 5)
Chassisumbau: Abtrennen des Fahrerhauses bis auf Fahrerpodest
Absenken des Rahmens hinter Fahrerkabine um 80 mm
Rahmen versetzt zusammengeschweißt und anschließend verstärkt
Rockinger-Anhängerkupplung RO430B4500 Komfort, tiefergesetzt
Luftfederung (Hinterachse), Automatikgetriebe Allison 2500
Neupositionierung Tanks und Batterien
Abmessungen Zugfahrzeug (L x B x H ): 6500 x 2310 x 2800 mm
Radstand 3300 mm, Bereifung 255/70R22,5
Höchstgeschwindigkeit beschränkt auf 30 km/h
Besucherbahn: Bahnaufbau Borco-Höhns GmbH & Co. KG, Rotenburg/Wümme drei doppelt gelenkte Anhänger (Waggons)
Aufbau aus GFK-Modulen in gewichtsoptimierter Sandwich-Bauweise
Sitzplätze für 108 Passagiere
Gesamtabmessungen (L x B x H): 28 650 x 2310 x 2800 mm
Gewicht: Leergewicht 20 t, Gesamtgewicht 28 t
Bodenhöhe: 930 mm (Zugfahrzeug) / 840 mm (Anhänger)
Stehhöhe: 1830 mm (Zugfahrzeug) / 1920 mm (Anhänger)
Quelle: Paul Nutzfahrzeuge Gmb